Junge Kinder haben es noch - das freudige Leuchten in den Augen. Neugierig entdecken sie die Welt. Probieren Dinge aus und lernen dabei, ohne sich Gedanken zu machen, was andere von ihnen denken könnten.
Doch irgendwann ist es weg, das Leuchten. Irgendwann sind die Augen genauso traurig, wie die Augen vieler Erwachsener.
Wann hast du dein Leuchten in den Augen verloren? Weißt du noch, wie dein Leben vorher war? Wer DU vorher warst?
Ich möchte eine wahre Begebenheit aus meinem Leben erzählen. Eine Begebenheit, die einen möglichen Grund, warum das Leuchten verschwindet, deutlich macht.
Ich war kürzlich mit einer lieben Kollegin auf einem Konzert in Oberhausen. Das Konzert sollte um 20:00 Uhr mit einer Vor-Band beginnen. Einlass war ab 18:30 Uhr. Es war ein Freitag, also ein Tag, an dem wir beide arbeiten mussten. Wir kamen überein, dass wir um 17:45 Uhr bei meiner Kollegin losfahren werden, mit geplanter Ankunftszeit in Oberhausen um 19:00 Uhr. Ich hatte nach der Arbeit sogar noch Zeit, mich etwas auf's Ohr zu legen und mich auszuruhen. Entspannt holte ich meine Kollegin um 17:45 Uhr von zu Hause ab und wir fuhren in freudiger Erwartung zu dem Konzert. Wir kamen zur geplanten Zeit um 19:00 Uhr an und mussten am Eingang auch nicht mehr warten, da der Einlass schon vor einer halben Stunde begonnen hatte und kaum noch Leute draußen vor der Tür standen. Es war ein Konzert mit Stehplätzen und freier Platzwahl.
Nachdem wir uns orientiert hatten und uns Getränke besorgt hatten, machten wir uns auf den Weg zur Bühne. Es war voll, aber nicht zu voll, sodass wir in der 4. Reihe vorne vor der Bühne Platz gefunden hatten und auf den Beginn des Konzerts warteten, bis - ja bis wir von einem jungen Mann angesprochen wurden, der nun hinter uns stand. Er begann das Gespräch, indem er seinen Unmut äußerte, dass er jetzt etwas ungehalten wäre. Wir guckten ihn beide erstaunt mit großen Augen an und fragten nach dem "warum".
Er antwortete, dass er um 14:30 Uhr von zu Hause losgefahren sei und seit 15:45 Uhr vor der Eingangstür zur Konzerthalle gewartet hätte. Gewartet - von 15:45 Uhr bis zum Einlass um 18:30 Uhr bei Temperaturen um die Null Grad - und wir stünden jetzt sogar noch vor ihm in der Reihe vor der Bühne. Wir guckten ihn etwas ungläubig und mitleidig an. Ich sagte ihm, dass wir ganz entspannt um 17:45 Uhr von zu Hause losgefahren wären und ich sogar noch Zeit gehabt hätte, mich vor dem Konzert auszuruhen.
Er ärgerte sich ganz offensichtlich über diese Tatsache. Hätte er in diesem Moment seine Zeit nicht dafür genutzt, sich aufzuregen und zu ärgern, hätte er eine wichtige Lektion in seinem Leben lernen können:
"Du musst nicht immer der Erste und der Schnellste sein, um ans Ziel zu kommen - derjenige, der am effizientesten handelt, kommt auch ans Ziel und zwar am entspanntesten."
Wir standen um 19:30 Uhr in der selben Reihe vor der Bühne - er mit einem Vorlauf von 5 Stunden, wir mit einem Vorlauf von weniger als 2 Stunden. Die selbe Reihe, dasselbe Konzerterlebnis - erlangt mit einer Zeitersparnis von 3 Stunden und mit warmen anstatt mit kalten Füssen gegenüber dem jungen Mann.
Was hat das mit dem Leuchten in den Augen unserer Kinder zu tun?
Ganz einfach: Hat dich in deinem ganzen Leben jemals irgendjemand danach gefragt, mit welchen Notendurchschnitt du von der 6. in die 7. Klasse versetzt worden bist, oder von der 7. in die 8. Klasse ? Es interessiert heute niemanden mehr, ob du damals in der 6. Klasse mit einem Einser-Durchschnitt oder einem Vierer-Durchschnitt in die 7. Klasse versetzt worden bist. Eine 4 reicht, um versetzt zu werden. Alles darüber hinaus ist Zugabe. Es reicht völlig aus, wenn du zum Schulabschluss hin, das beste gibst, um einen bestmöglichen Abschluss zu erreichen. Der Weg dorthin kann von Ehrgeiz und Leistungswillen besessen erfolgen, oder auch entspannter und ruhiger.
Ab wann hast du den Leistungsdruck deiner Eltern gespürt? Ab wann hattest du Angst, dass das, was du leistest, nicht genug sein könnte?
Das Interessante dabei ist, dass es nicht deine Angst war, die du gespürt hast, sondern dir die Angst "nicht gut genug zu sein" von deinen Eltern mitgegeben wurde.
Wenn du ein Kind hast und es zum fleißigen Lernen zwingen musst, wer hatte dann ganz ursprünglich Angst, dass die Leistung deines Kindes nicht reichen könnte, wenn nicht gelernt wird? Ist es die Angst des Kindes? Nein, es ist nicht die Angst deines Kindes, eben weil du Zwang anwenden musst. Wenn dein Kind die Angst hätte, würde es von selber lernen. Es ist deine Angst gewesen. Deine Befürchtung, der Gesellschaft "nicht genug zu sein" - nicht erfolgreich zu sein.
Das ist ein Zeitpunkt im Leben, wo das Leuchten in den Augen unserer Kinder stirbt - Erwartungen und Leistungsdruck der Eltern oder der Gesellschaft. Das Gefühl "nicht genug zu sein" und nicht genug zu leisten. "Bald kommst du in die Schule, dann fängt der Ernst des Lebens an."
Dann stirbt das Leuchten in den Augen deiner Kinder, wenn du nicht aufpasst.
Meine Kollegin und ich hätten beinahe noch einen "draufgesetzt". Warum? Weil vor uns in Reihe eins, zwei und drei auch noch etwas Platz war.
Meine Kollegin sagte dann aber zu mir: "Wenn wir jetzt noch weiter nach vorne gehen, dann treffen wir womöglich auf die Leute, die noch eine Stunde früher, also schon ab 14:45 Uhr vor der Eingangstür in der Kälte gewartet haben. Die sind dann vielleicht richtig sauer auf uns..."
Wir mussten beide bei diesem Kommentar so laut und herzlich lachen. "Ich warte hier schon ab viertel vor vier" ist jetzt ein Running Gag von uns beiden - dieses Erlebnis ist ein gutes Beispiel dafür, dass man auch entspannt und gelassen ans Ziel kommen kann - ohne eingefrorene Füße, mit einem Lächeln auf den Lippen und dem Leuchten in den Augen.
Lebst du schon, oder erfüllst du noch Erwartungen? Und wessen Erwartungen sind das eigentlich?